Einführung: Historischer Rahmen

Die Widerstandsbewegung des Vercors (Maquis) – Ende 1942 bis Mai 1944

Zur Zeit des Frankreichfeldzugs Mai / Juni 1940 blieb das Vercorsmassiv im Hintergrund der Kämpfe, selbst in der Alpenschlacht, die sich am Fuße des Massivs bei Cluse de Voreppe abspielte. Die Einwohner versuchten, sich den vom französischen Staat veranlassten Veränderungen anzupassen, doch bereits ab 1940 zeichneten sich vereinzelte Akte des zivilen Ungehorsams ab. Besonders die Sozialisten im Massiv zeigten sich verhalten und organisierten Versammlungen, um – vorerst heimlich – ihre Partei wieder herzustellen. Darüberhinaus fanden zahlreiche Menschen von außerhalb der Region Zuflucht im Vercors: Schüler aus mehreren privaten Pariser Gymnasien, junge Polen, Juden oder, von 1942 an, im Kanton von La Chapelle-en-Vercors, Kinder aus dem Var.

Nach der Einführung der Relève (der Ablösungsmannschaften) im Jahr 1942 zwang die Gründung des Pflichtarbeitsdienstes (STO = Service du Travail Obligatoire) im Februar 1943 zahlreiche junge Franzosen, in Deutschland zu arbeiten. Dies trug entscheidend zur Bildung des Maquis bei, der Widerstandsbewegung des Vercors. Um die Jahreswende 1942/43 organisierte eine unter dem Banner der Franc-Tireurs (= Freischärler) versammelte Gruppe von Sozialisten aus dem Vercors (u.a. Eugène Samuel, Victor Huillier und André Glaudas), die in Verbindung zu Aktivisten aus Grenoble unter Führung von Doktor Léon Martin und Aimé Pupin stand, Flüchtlingslager für Fahnenflüchtige:

Das erste Lager wurde Dezember 1942/Januar 1943 auf dem Hof Ferme d’ Ambel eingerichtet, weitere entstanden in den darauffolgenden Monaten.

Zeitgleich ersann der Architekt und Alpinist Pierre Dalloz die strategische Nutzbarkeit des Vercors als eine Art natürlicher Festung, deren Steilwände wie Bollwerke fungierten und Schutz boten. Ziel war es, Landeflächen zu schaffen, um bei einer Landung im Süden Frankreichs alliierte Fliegertruppen empfangen und so auf die deutschen Truppen im Hinterland einwirken zu können.

Jean Moulin und der Militärstab der France Combattante (also des kämpfenden Frankreich) erklärten das Projekt im Februar 1943 für rechtsgültig; es wurde „Projet Montagnards“ getauft. Daraufhin versammelte Pierre Dalloz für die Umsetzung des Projekts eine kleine Mannschaft, die vornehmlich aus Soldaten bestand.

Diese beiden Initiativen schlossen sich zusammen und gründeten eine Kampfgruppe, in welcher sich Mitglieder der Franc-Tireurs und Initiatoren des Motagnards-Projektes zusammen fanden. Damit sollten das Projekt Dalloz’ auf militärisches Niveau gehoben und die Lager der Widerstandskämpfer einem militärischen Kader unterstellt werden, um aus den Rebellen geschulte Kämpfer zu machen. Nach den Festnahmen des Frühlings 1943, die die ursprüngliche Führungsspitze (Martin, Pupin, Huillier) zersplitterten, wurden die Zuständigkeiten aufgeteilt: Eugène Chavant wurde zum Zivilchef ernannt und mit Alain Le Ray (1943), Narcisse Geyer (Anfang 1944) und Francois Huet (ab Mai 1944) in Folge eine militärische Führung eingesetzt.

Die ortsansässige Bevölkerung unterstützte die Widerstandskämpfer weitgehend – eine unerlässliche Hilfe für das Überleben der Lager. Ebenso verhielt sich die Truppe der Gendarmerie von La Chapelle; sie erhielt nach der Befreiung geschlossen die Medaille der Resistance.

Innerhalb der Lager wurde der tägliche Lebensrhythmus der ungefähr dreihundert Männer, die sich im Verlauf des Jahres 1943 dem Widerstand anschlossen, bestimmt durch Stubendienst, Kontrollgänge, militärische Ausbildung und lange Zeiten des Wartens.

Die Fallschirmabwürfe der Alliierten mit Waffen und Munition waren wesentlich für das Bestehen des Maquis. Der Vercors verfügte über sieben staatlich anerkannte Gebiete, darunter das wichtigste „Taille-Crayon“ in Vassieux. Der erste Fallschirmabwurf fand am 13. November 1943 statt. Um mit den Alliierten als auch der France Combattante zu kommunizieren, mussten die Widerständischen Funkmannschaften aufstellen, die ab Februar 1943 nach und nach im Vercors eingesetzt wurden, die Verbindungen jedoch blieben schwach.

In der ersten Jahreshälfte 1944 musste der Widerstand mehrere Überfälle durch die Besatzungsmacht und die Miliz hinnehmen. Sowohl Widerstandskämpfer als auch Zivilisten bezahlten mit ihrem Tod – im Januar in dem Weiler Les Barraques, danach in Malleval, im März in Saint-Julien–en-Vercors, im April durch das gewaltsame Eindringen der Miliz in Vassieux.

Der Vercors, Befreite Zone (6. Juni – 21. Juli 1944)

Die Mission „Eucalyptus“ der Special Operations Executive (SOE) – Zusammenkunft des Militärstabs auf dem Gelände, 1944. In der Mitte der Leiter der Mission, Kommandant Desmond Longe (Refraktion) und Oberst Zeller (Faisceau, Joseph), Chef des Widerstands im Süd-Osten Frankreichs, ganz links. Mit ausgestrecktem Arm der Förster Boissière.

Die Nachricht von der Landung am 6. Juni 1944 rief, wie allerorten in Frankreich, große Euphorie in der Region hervor, schien doch die Befreiung unmittelbar bevorzustehen. In der Nacht vom 8. auf den 9. Juni gibt der eben aus Lyon eingetroffene regionale Stabschef Marcel Descour dem militärischen Kommando des Vercors trotz dessen Zögern Order, die Generalmobilmachung vorzubereiten. Die Order wurde umgesetzt.

Die zivilen Truppen sowie zahlreiche junge Leute, einzeln oder in Gruppen, erklommen das Plateau; das Massiv war „abgeriegelt“, seine Zugangsstraßen kontrolliert.

Zwischen dem 9. Juni und dem 21. Juli 1944 wurde der Vercors somit zur befreiten Zone unter zweifacher Führung. Eugène Chavant stand der Zivilregierung vor, deren Hauptaufgabe in der Versorgung (Rationalisierung, Bevorratung) bestand. Das militärische Kommando im Vercors blieb in den Händen von Francois Huet und dem regionalen Militärkommandanten Marcel Descour, der den Militärstab im Massiv aufbaute.

Am 3. Juli rief Yves Farge, Beauftragter der Republik, für die Region R1 (heute die Région Rhône-Alpes) die Restauration der Repuplik im Vercors aus. Nachdem das Vichy-Regime die Republik zugrunde gerichtet hatte, zeugte diese Restauration von dem Willen, einen Konter-Staat zu begründen und den Weg in die Zukunft zu bahnen. Die restaurierte Republik war im Vercors mit den wichtigsten staatlichen Einrichtungen ausgestattet: Aus- und Einreisekontrollen an den Ausfahrtsstraßen des Massivs, Organe der Strafverfolgung mit einem Militärgericht und einem Haftlager in La Chapelle, in dem deutsche Soldaten, Milizsoldaten, Kollaborateure und auch zahlreiche einfache Verdächtige inhaftiert waren, Berichterstattung durch Herausgabe einer Zeitung, zunächst Vercors Libre, dann Le Petit Vercors, auswärtige Verbindungen – insbesondere zu den Alliierten – dank der Verstärkung der Funkmannschaften.

Schnell fanden sich Hunderte Männer zusammen. Am 11. Juli waren alle jungen Männer des Vercors zwischen zwanzig und vierundzwanzig Jahren mobilisiert, etwa vierhundert an der Zahl. Bis zur Mitte des Monats vereinten sich so nahezu viertausend Männer im Vercors – die höchste Konzentration an Widerstandskämpfern in der Region. Vor diesem Hintergrund entschied Kommandant Huet, die Widerstandsbewegung militärisch zu strukturieren, indem die Widerstandskämpfer ehemaligen Einheiten der wiederhergestellten französischen Armee zugeteilt wurden: Dem 6., 12. und 14. Gebirgsjägerbataillon, dem 11. Kürassierregiment. Die Trainings- und Ausbildungsübungen in der Handhabung der Waffen wurden intensiviert.

Die Fallschirmabwürfe von Waffen durch die Alliierten – einige davon am helllichten Tag durchgeführt, insbesondere jene des 14. Juli 1944 in Vassieux – ermöglichten die Anhäufung von Tonnen Waffen in größerer zweistelliger Höhe. Die Alliierten entsendeten gleichermaßen mehrere Abordnungen, so die Mission „Eucalyptus“ mit einer Funkmannschaft, die Mission „Justine“, die die Widerstandskämfer an der Waffe ausbilden sollte, die Mission „Paquebot“ zur Errichtung einer Landebahn in Vassieux.

Die Kämpfe im Vercors (21. Juli bis Mitte August 1944)

Die Deutschen – beunruhigt über das große Aufgebot an Männern im Vercors während der sich abzeichnenden Niederlage des Dritten Reiches – fürchteten, dass die Widerstandskämpfer bei einer Landung der Alliierten in der Provence Vorstöße ins Rhônetal unternehmen könnten, um ihren Rückzug aus dem Süden Frankreichs zu behindern. Um die Bedrohungslage zu durchbrechen, bereitete der deutsche Militärstab nach einigen gezielten Angriffen (Schlacht von Saint-Nizier-du-Moucherotte im Norden des Massivs, Mitte Juni) die dem General Karl Pflaum unterstellte Generaloffensive „Bettina“ gegen die befreite Zone des Vercors vor. Mit mehr als zehntausend Mann Stärke war diese eine der wichtigsten Operationen der Wehrmacht gegen eine Widerstandsbewegung in Europa.

Ab Mitte Juli verteilten sich deutsche Truppen im Vorland des Vercors und umzingelten das Massiv. Des unmittelbaren Bevorstehens eines Angriffes bewußt, forderten die Verantwortlichen des Widerstands ein Vielfaches an Verstärkung und Panzerabwehrwaffen bei den Verbündeten an.

Die Widerständler in den Randgebieten des Vercors mühten sich, hier und da den feindlichen Druck zu verlangsamen.

Am 21. Juli setzte die Wehrmacht die Offensive in Gang, indem sie gleichzeitig vier Angriffsachsen öffnete: Im Norden des Massivs, ab Grenoble, ermächtigten sich die deutschen Soldaten des Kantons von Villard-de-Lans; bei Tagesende standen sie vor dem Dörfchen Valchevrière. Widerstandskämpfer hielten diesen strategisch wichtigen Sektor über zwei Tage hinweg, am 23. Juli aber fiel die Stellung und öffnete somit den deutschen Truppen den Süden des Massivs.

Auf den östlichen Flanken ab Trièves übernahmen zwischen dem 21. und 23. Juli Gebirgstruppen zahlreiche Pässe. Somit überwanden sie die gewaltige Barriere von Steilwänden und rückten schnell auf die Hochplateaus vor.

Ein Segelflugzeug und ein zerstörter Bauernhof in Vassieux-en-Vercors

Da der deutsche Stab davon ausging, dass das Dorf das Oberste Kommando der Resistance beherbergte, galt die Weisung, in Vassieux schnell und hart zuzuschlagen, ohne die Zivilbevölkerung zu verschonen. Am Morgen des 21. Juli landeten zweiundzwanzig deutsche Segelflugzeuge in der Umgebung des Dorfes und der umliegenden Weiler, an Bord etwa zweihundert Mann. Ein erbitterter Kampf entspann sich, erschwert durch den Regen. Erst am 23. Juli konnten die Deutschen durch das Eintreffen weiterer Flugzeuge der Situation Herr werden und die Widerstandskämpfer dazu zwingen, die Schlacht um Vassieux zu beenden. Zuletzt erreichte, aus Die einrückend, die Kamfgruppe Zabel der 9. Panzerdivision über die Gebirgspässe von Rousset und Vassieux das Dorf Vassieux.

Am Abend des 23. Juli war das Schicksal des Vercors besiegelt. Die deutschen Truppen hatten an allen Fronten entscheidende Vorteile errungen und rückten im gesamten Massiv vor. Am späten Nachmittag gab Francois Huet, der Militärchef des Widerstands, Order zur Auflösung der Verbände; die Männer sollten den Kampf beenden und in den Wäldern untertauchen.

Die deutschen Soldaten erhielten die Weisung, den Vercors zu durchkämmen, um die Widerstandskämpfer aufzuspüren und ihre Schlupfwinkel zu zerstören. Die Ausuferungen häuften sich: Am 25. Juli Massaker an sechzehn Männern im Hof eines Bauernhofes in La Chapelle-en Vercors, am 28. Juli Vernichtung des in der Grotte von La Luire verschanzten Hospitals des Maquis, am 14. August Hinrichtung von zwanzig jungen Männern aus dem Vercors in Grenoble, und so fort. Zahlreiche Bauernhöfe wurden niedergebrannt.

Einem Großteil der Widerstandskämpfer gelang es, sich in den Wäldern zu verstecken und so zu überleben. Unter jenen, die versuchten, das Massiv zu verlassen, wurden ungefähr zweihundert am Fuße des Vercors durch die Absperrungen der Soldaten, die das Massiv umzingelten, abgefangen und schließlich hingerichtet (in Saint-Nazaire-en-Royans, Beauvoir-en-Royans, Noyarey).

Die deutschen Truppen zogen Mitte August 1944 aus dem Vercors ab und hinterließen das Massiv in einem Zustand völliger Trostlosigkeit. Die Opferbilanz im gesamten Vercors wog schwer: Mehreren durchgeführten Schätzungen zufolge wird die Anzahl der Toten gemeinhin auf fünfhundert bis achthundert festgelegt – basierend auf der Auswertung von Karteien, Daten, geographischem Umkreis und der entsprechenden Todesursachen. Die materiellen Schäden waren beträchtlich.

In Vassieux verloren mehr als zweihundert Menschen ihr Leben, davon 73 Zivilisten, und 97 Prozent der Gebäude waren zerstört. Unterdessen überlebten mehr als dreitausend Kämpfer und viele von ihnen nahmen den Kampf wieder auf, insbesondere innerhalb des 6. Gebirgsjäger-Bataillons und des 11. Kürassier-Regiments.

Bilanz, Kriegsende, Wiederaufbau und Gedenken

La Chapelle-en-Vercors, Wiederaufbau-Projekt im Umkreis der mittelalterlichen, unversehrten Kirche; nicht datiert (1945?)

Am 15. August 1944 landeten die alliierten Truppen an der Mittelmeerküste der Provence. An der Seite der Resistance-Kämpfer, darunter zahlreiche ehemalige Maquis-Angehörige aus dem Vercors, gelang es ihnen bald, die deutschen Truppen zurückzudrängen: Grenoble wurde am 21. August, La Drôme Ende August und Lyon am 3. September befreit. Im März 1945 überquerten die alliierten Streitkräfte den Rhein. Am 7. und 8. Mai kapitulierte Nazi-Deutschland bedingungslos.

Im Vercors musste die Bevölkerung seit dem Ende der Kämpfe dringende Aufgaben in Angriff nehmen; so war die sanitäre Situation vordringlich und erforderte provisorische Bestattungen der Opfer; ein „Fahrplan“ für das alltägliche Leben in den völlig verwüsteten Dörfern wie Vassieux musste erstellt werden. Großer Elan nationaler und internationaler Solidarität offenbarte sich, genährt durch die große Berühmtheit, die die Geschichte des Widerstands im Vercors hervorgerufen hatte.

In der Nachkriegszeit bestimmten zwei Phänomene den Vercors: Einerseits der vom Staat durchgeführte Wiederaufbau der verwüsteten Dörfer, insbesondere von Vassieux, La Chapelle und Saint-Nizier, der dieser ländlich geprägten Gesellschaft neue architektonische und städtebauliche Prinzipien aufbürden sollte und andererseits das Erwachen einer Erinnerungskultur hinsichtlich der „glorreichen und tragischen“ Geschichte, die Gestalt annahm durch die Gründung der Gesellschaft der Pionniere des Vercors im November 1944, die Übergabe des Ordens Croix de la Libération (= Befreiungskreuz) an Vassieux im August 1945, den Bau von Gedenkfriedhöfen und Errichtung von Gedenksteinen, jährliche Gedenkveranstaltungen, die Veröffentlichung zahlreicher Bücher, Artikel und (Zeit-)Zeugenberichte sowie schließlich die Eröffnung des Museums der Resistance im Jahr 1973 und der Gedenkstätte der Resistance im Jahr 1994, beide in Vassieux.

In der Erinnerungshalle des Gedenkfriedhofes von Vassieux ließen die Pionniere folgende Worte eines norwegischen Dichters und im Kampf gefallenen Widerstandskämpfers einmeißeln:

Wir wollen nicht eure Trauer, wir wollen in eurem Glauben und eurem Mut weiterleben.“

Pierre-Louis Fillet

Direktor des Museums der Resistance in Vassieux-en-Vercors

Quellen:

Fotografie, Plateau de l’ Est unter dem Grand Veymont, La Grande Cabane

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– Département AERI de la Fondation de la Résistance – Mai 2017 – alle Rechte vorbehalten